Hideo Kojimas schrägen Lieferboten-Simulator "Death Stranding" gibt es jetzt auch für PC – mit allen technischen Vorteilen, die die Plattform gegenüber der PS4 mit sich bringt. Einen erneuten Durchlauf durch die Story spare ich mir allerdings. Lieber erkunde ich ein Feature, das bei mir bisher nie so richtig zünden wollte.
Es ist eine der schöneren Begleiterscheinungen von Social Media, dass jedes optisch einigermaßen ansehnliche Spiel heute mit eingebautem Fotomodus kommt. Dabei können eigentlich alle nur gewinnen: Spielefans präsentieren ihre Schnappschüsse bei Twitter und Instagram, Spielehersteller bekommen kostenlose Werbung für ihre atemberaubenden digitalen Welten. Und wer keine künstlerischen Fotografie-Ambitionen hegt, kann sich das Ganze in Ruhe angucken oder als Desktop-Hintergrund einrichten. Win-Win-Win.

Ich gehöre zur letztgenannten Gruppe. Fotomodi sind ein Feature, das ich typischerweise ignoriere – selbst in kinoreifen Games wie "Assassin's Creed Odyssey" oder "Control". Meist rufe ich das Menü einmal auf, spiele im pausierten Spiel kurz ein bisschen mit Filtern und Einstellungen herum und lasse es dann für den Rest der Zeit in Ruhe. Zu viel Aufwand. Erst "Death Stranding" hat es jetzt geschafft, mich für Spiele-Fotografie auch hinterm Auslöser zu erwärmen.
Zurück in die Geister-Apokalypse
Schon vor dem PC-Release von Hideo Kojimas Open-World-Actionspiel war für mich klar: Die Story gebe ich mir kein zweites Mal. Auf der PlayStation hat mich "Death Stranding" irgendwann verloren. Der mühsame Loop aus Pakete schleppen, Pakete abliefern und Infrastruktur bauen konnte mich nicht bis zum Schluss fesseln, die endlosen Cutscenes und mäandernden Dialoge taten ihr Übriges. Die leicht futuristische Ästhetik und die durchdachte Welt des Spiels finde ich aber immer noch reizvoll. Nun ist die PC-Version der perfekte Anlass, zurückzukehren.

Dass "Death Stranding" verdammt gut aussieht, war schon auf der PS4 kein Geheimnis. Die von Island inspirierte Spielwelt ist so malerisch wie leer, aber trotzdem spannend: Von üppigen Graslandschaften über vulkanische Ödnis bis hin zu Staubwüsten, verfallenen Städten, Kratern und Gletschern enthält die Open World reichlich Abwechslung und Fotomotive.
Gewaltige Verbesserungen bei der Optik bietet die PC-Version abgesehen von gelegentlich schärferen Texturen und besseren Licht- und Schatteneffekten zwar nicht, sie sind aber auch nicht nötig. Die viel höhere Framerate auf halbwegs modernen Rechnern ist hier das stärkere Argument für die Windows-Fassung. Wer das Game noch nicht kennt, bekommt die technisch überlegene Version.
Geht gut von der Hand: der PC-Fotomodus
Für den Fotomodus sind andere Eigenheiten der PC-Version relevanter. Das Feature gibt es seit einem Update im Juni auch für die PS4. Stark ins Gewicht fällt für mich aber die Steuerung mit Maus und Tastatur. Sie macht das freie Bewegen der Kamera und das Springen zwischen verschiedenen Einstellungen unendlich viel komfortabler als das Navigieren mit dem DualShock-Controller. Der Fotomodus bietet viele, aber nicht zu viele Einstellmöglichkeiten. Er gibt selbst einem absoluten Laien wie mir nach kurzer Einarbeitungszeit das Gefühl, einigermaßen gute Schnappschüsse erstellen zu können.

Zwischen Apokalypse und Albernheit
Erste Aufnahmen sehen, zumindest bei mir, häufig apokalyptisch und bedeutungsschwanger aus. Das passt: "Death Stranding" ist ein ernstes Spiel, das vor Pathos nicht zurückscheut. Mit einem einigermaßen eindrucksvollen Hintergrund, ein bisschen Tricksen an der Perspektive und einem Farbfilter lässt sich da in Sachen Weltuntergangsstimmung schon viel machen.
Sam Porter-Bridges in Messias-Pose – stark! Einsame Wüsten, verfallene Gebäude, umgekehrte Regenbögen – toll! Verbissene Blicke, Denkerposen, Blut, Schweiß und ... nun ja, Urin. "Death Stranding" ist randvoll mit wenig subtilen Metaphern und macht es mir unglaublich leicht, sie in schöne Bilder zu übersetzen.
"Death Stranding" ist aber auch ein hemmungslos albernes Spiel. Da läuft ein grimmiger Mann mit einem festgeschnallten Fötus vor dem Bauch und viel zu vielen Paketen auf dem Rücken durch ein Nordamerika, das kein bisschen nach Nordamerika aussieht. Alle naselang ruft ihn ein Typ namens Die-Hardman an und schwadroniert von der Wiedervereinigung in der Postapokalypse. In Sams privaten Raum stehen Dosen mit Energydrinks, die er auf Knopfdruck weg inhaliert. Und seine Gegenspieler sind Geister, liefersüchtige Paketboten und ein Typ mit goldener Totenkopfmaske, der den meisten Autoren viel zu dick aufgetragen wäre – außer, sie heißen Hideo Kojima.

Blödel-Selfie mit Container-Baby
Fans des exzentrischen Spielemachers lieben den anspielungsreichen Spagat zwischen Ernst und pubertärem Blödsinn. Ich finde ihn amüsant, wenn auch auf Dauer ermüdend – aber für den Fotomodus ist die alberne Seite von "Death Stranding" die richtige Würze.

Auf Wunsch schmeißt sich Sam in beliebige Posen und zieht Grimassen, eine bekloppter als die nächste. Und nicht nur das: Ich kann auch die Gestik und Mimik des Container-Babys BB bestimmen. Es wird sehr lange dauern, bis ich die Lust daran verliere, kleine Bildgeschichten zu basteln, in denen sich meist Sam äußerst dämlich anstellt und BB die passende Reaktion im Gesicht trägt. Die Vielfalt der Spielwelt macht es außerdem möglich, Sam in immer neue absurde Situationen zu bringen. Trampen an der menschenleeren Autobahn der Zukunft, Posieren mit vermummten Feinden, Rumsitzen in Kornfeldern, Blickduelle mit Hologrammen – die Möglichkeiten sind endlos.

Mittlerweile spiele ich "Death Stranding" wie eine Fotosafari: Entdecke ich einen neuen schönen Fotospot oder eine Pose mit Potenzial für ein Blödel-Selfie, können mir alle Quests und Lieferungen gestohlen bleiben. Manchmal laufe ich minutenlang im kleinen Radius durch dasselbe Gebiet, optimiere Lichtverhältnisse, warte bis der Regen aufhört oder experimentiere mit Waffen und Items herum, um eine frische Perspektive zu finden.
Klar, den Abspann bekomme ich auf diese Weise wohl nie zu sehen. Aber mehr Spaß hatte ich mit "Death Stranding" noch nie.