Spieler von "Dying Light 2" werden in einem Durchlauf nur gut die Hälfte des Spiels sehen: Mit dieser Aussage rühren die Entwickler derzeit die Werbetrommel für die Entscheidungsfreiheit und die harten Konsequenzen in ihrem Zombie-Survival-Sequel. Eine live gespielte Gameplay-Demo auf der Gamescom 2019 führte uns nun anschaulich vor Augen, was das bedeutet – und welche spannenden Spieldesign-Möglichkeiten sich dahinter verbergen.
Entscheidungsfreiheit ist bei Action- und Rollenspielen gerade mal wieder das Thema der Stunde – diesen Eindruck bekam ich zumindest auf der Gamescom 2019. Nicht nur der Hype-Titel "Cyberpunk 2077" verspricht den Spielern, auf viele verschiedene Arten und Weisen durchspielbar zu sein. Auch bei Präsentationen zu den kommenden RPGs "Wasteland 3", "Vampires: The Masquerade – Bloodlines 2" und "Dying Light 2" legten die jeweiligen Entwickler größten Wert auf Spieler-Ermächtigung, unterschiedliche Lösungswege und Handlungen mit Konsequenzen.
Ein geplatzter Deal mit Folgen
"Dying Light 2", das das polnische Studio Techland Anfang 2020 veröffentlicht, blieb dabei besonders in Erinnerung. Bereits im Rahmen der halbstündigen Live-Gameplay-Demo ergaben sich zahlreiche Möglichkeiten, den Spielverlauf völlig anders zu gestalten. Zudem wurde endlich klar, was die Macher meinen, wenn sie sagen, dass Entscheidungen der Spieler die Spielwelt radikal verändern werden.

In dem gezeigten Spielabschnitt müssen wir (in der Rolle des Protagonisten Aiden Caldwell) sicherstellen, dass unserer kleinen Siedlung nicht das Wasser ausgeht. Deshalb sind Verhandlungen mit dem Colonel angesetzt, einem örtlichen Warlord, der in einer massigen Festung residiert und die Pumpen des Wasserwerks unter Kontrolle hat. Doch das Treffen mit Vertretern des Colonels geht gründlich schief, Aidens Freund Frank wird angeschossen und wir stehen vor der ersten Wahl: Bleiben wir bei Frank oder laufen wir den in einem Van flüchtenden Truppen hinterher?
Techlands Demo-Spieler entscheidet sich für Letzteres und folgt dem Fahrzeug durch die Stadt – natürlich mit reichlich Körpereinsatz im Parkour-Stil über Dächer, Gerüste und quer durch Zombie-infizierte Wohnhäuser.

Einige Kämpfe und gewagte Sprünge später ist der Van eingeholt und wir stehen vor der nächsten Wahl: Legen wir den verschreckten Fahrer um oder zwingen wir ihn, uns zur Wohnung des Colonels zu fahren? Die Entscheidung fällt auf die Chauffeur-Nummer, was sich als schlau herausstellt: Der Kerl ist zwar nervös und verpeilt, kriegt aber trotzdem das Passwort zusammen, das uns an der Zugbrücke vorbei direkt in die Festung führt. Die sieht von außen zwar zum Fürchten aus, drinnen tollen aber Kinder herum und generell scheint hier das postapokalyptische Leben einigermaßen angenehm zu sein. Seltsam …
Wasser Marsch! Oder doch nicht?
Aber keine Zeit, darüber nachzudenken, denn wir sind aus einem Grund hier. Eine Parkour- und Schleichpassage später stehen wir dem Burgherrn gegenüber – und müssen schon wieder eine schwere Entscheidung treffen: Der ältere Herr wirkt nämlich eigentlich ganz vernünftig und nicht wie das Monster, als das er uns verkauft wurde. Er rät uns dringend davon ab, die Pumpen zu betätigen – aber dann verdursten unsere Freunde in der Stadt. Vertrauen wir ihm?

In diesem Spieldurchgang: nein. Nach einem Kampf gegen seine Bodyguards stellen wir endlich die Pumpen an. In einer Filmsequenz öffnen sich die Schleusentore, das Wasser fließt und aus dem ehemaligen Stausee erhebt sich ein ganz neuer Stadtteil, den wir ab da erkunden können.
Allerdings macht die Aktion auch den Weg frei für den Sturm unserer "Freunde" auf die Festung des Colonels. Haben wir hier vielleicht doch keinen finsteren Warlord bezwungen, sondern ein kleines Dorf ans Messer geliefert? Können wir den Leuten in unserer Siedlung eigentlich trauen? Und was ist mit den Zombies, die sich aus dem Schlick des Stausees erheben – wären die vielleicht besser überschwemmt geblieben?
Hätte, hätte, Zugbrückenkette
Immer wieder betonen die Entwickler bei der Vorführung, dass dieser Abschnitt auch ganz anders hätte ablaufen können. Hätten wir unseren unfreiwilligen Fahrer nicht gehabt, hätten wir uns einen Weg in die Festung hinein kämpfen müssen. Hätten wir den Van nicht verfolgt, hätte Frank zwar überlebt – aber das Wasser-Problem wäre dann ungelöst geblieben und das neue Areal nicht aus dem Stausee aufgetaucht. Das Spiel selbst gibt offenbar keine Hinweise, welche Abzweigung wir wo und wie verpassen könnten. Wer "Dying Light 2" ganz sehen will, sollte also akribisch mitschreiben, um beim nächsten Durchlauf alles anders zu machen.

Koop-Action im Paralleluniversum
Ein bisschen unklar ist derzeit noch, ob der angekündigte Koop-Modus für bis zu vier Spieler dadurch nun besser oder schlechter wird. Hier bestimmen nämlich die Entscheidungen eines Host-Spielers, in welcher Version der Welt gespielt wird. Wer online einer zufälligen Koop-Gruppe beitritt, landet also womöglich in einer Welt, die sich vom eigenen Solo-Spielstand fundamental unterscheidet.
Das hat seinen Reiz, zeigt es doch möglicherweise die Auswirkungen von Entscheidungen, die man selbst ganz anders getroffen hat. Ganz ohne Kontext in so einer Paralleluniversums-Version zu starten, könnte aber auch sehr verwirrend sein. Ob der Koop-Modus in "Dying Light 2" ähnlich beliebt wird wie das Zusammenspiel im Vorgänger, hängt also wohl ein bisschen davon ab, wie radikal die Vollversion bei den Veränderungen an der Spielwelt letztlich ausfällt.